Hilfe!
(Ich glaube) Mein Kind hat eine Essstörung!

Man steht als Eltern der Krankheit scheinbar machtlos gegenüber, DANKE liebes AES Team, dass Ihr immer für uns da seit.
— Betroffene Mutter

 

Besteht der Verdacht, dass ein Familienmitglied an einer Essstörung leidet, fühlen sich Angehörige verunsichert, hilflos und überfordert. Was tun? Wie richtig reagieren?


Mögliche Anzeichen einer Essstörung können sein:

  1. Eine intensive Angst vor Gewichtszunahme

  2. Negatives oder verzerrtes Selbstbild

  3. Beschäftigung mit Essen

  4. Lebensmittel horten und verstecken

  5. Essen im Geheimen

  6. Sozialer Rückzug

  7. Reizbarkeit

  8. Stimmungsschwankungen

  9. Rigidität in Verhaltensweisen und Routinen

  10. Spürbare Gewichtsschwankungen

  11. Magen-Darm-Beschwerden

  12. Konzentrationsschwierigkeiten

  13. Schlafstörung

  14. Zahnprobleme

  15. Beeinträchtigte Immunfunktion.



Zuallererst:
Den richtigen Weg aus der Essstörung gibt es nicht - es gibt viele verschiedene

Viele Eltern sind verzweifelt auf der Suche nach der ‘richtigen’ Therapie, welche ihrem Kind sofort hilft, oder sind verunsichert, ob die laufende Therapie die richtige ist. Der Druck in dieser schwierigen Situation alles «richtig» machen zu wollen, ist enorm. Essstörungen sind so vielfältig und komplex wie die Persönlichkeiten der Betroffenen. Es gibt weder DIE Essstörung, noch DIE betroffene Person oder DEN Weg aus einer Essstörung. Es hilft zu wissen, dass es nicht nur den einen richtigen Weg gibt und dass alle Wege ihre Zeit brauchen.

 

Das können Sie als Eltern tun

Hinsehen

Essstörungen sind meistens keine Phasen, die sich von selbst wieder legen. Als Eltern die Krankheit zu erkennen und zu akzeptieren, ist ein wichtiger erster Schritt. Beobachten Sie, was Ihnen auffällt und notieren Sie sich dies. So behalten Sie den Überblick. Dies kann auch eine gute Grundlage für ein erstes Gespräch sein. Oft ist man unsicher, wie man gewisse Situationen einordnen soll. Da hilft es Beobachtungen untereinander auszutauschen.

Informieren

Es gibt (zu)viele Informationsquellensuchen Sie sich eine Quelle aus, die auf Essstörungen spezialisiert ist, z.Bsp. AES-Website oder Website einer anderen spezialisierten Beratungsstelle, AES-Beratungsstelle, Hausärzt*in, Fachperson, Fachbücher.

Gemeinsam

Idealerweise unterstützen beide Elternteile beziehungsweise mehrere Bezugspersonen die betroffene Person. Ist dies nicht der Fall, suchen sie sich Hilfe aus Ihrem persönlichen Umfeld oder bei einer Fachperson. Es ist schwierig, für einen Elternteil dieses Thema allein anzugehen.

Ansprechen

Viele Eltern fürchten sich davor, dieses Thema anzusprechen. Aber Schweigen oder Wegschauen hilft keinem aus dieser schwierigen Situation. Wenn Ihr Kind sich zurückzieht, empfindlich, wütend oder gar aggressiv reagiert, kann es schwierig sein, ein Gespräch zu führen. Oftmals sind die Betroffenen sehr verängstigt oder unsicher und haben Schwierigkeiten, über das zu Sprechen was in ihnen vorgeht. Möglicherweise hat, ihr Kind (bis jetzt) noch nicht akzeptiert, dass es ein Problem hat. Versuchen Sie ruhig zu bleiben und ein Gespräch herzustellen. Geben Sie nicht auf. Sprechen Sie Ihre Beobachtungen immer wieder an. Das Ziel ist dem Kind zu signalisieren, dass es wahr- und ernstgenommen wird und man sich Sorgen macht. Achten Sie dabei auch darauf, ob Sie selbst mit den Auswirkungen der Krankheit noch leben und umgehen möchten/können oder ob es Sie selbst an Ihr Limit bringt.

  • Bleiben Sie ruhig und bereiten Sie sich vor, was Sie sagen werden (dabei kann die Beobachtungsliste helfen) – machen Sie ihrem Kind keine Vorwürfe und verurteilen sie es nicht. Konzentrieren Sie sich darauf, wie Sie sich fühlen.

  • Möglicherweise ist es besser zu vermeiden, über das Aussehen zu sprechen, auch wenn Sie vielleicht etwas Nettes sagen möchten.

  • Versuchen Sie Sätze zu verwenden, die mit „Ich“ beginnen. zB.  „Ich mache mir Sorgen, weil du nicht glücklich scheinst; weil du nicht mehr mit uns am gleichen Tisch isst, weil du deine Freunde nicht mehr siehst etc.“.

  • Vermeiden Sie es, über die Ernährung oder Gewichtsprobleme anderer zu sprechen.

  • Versuchen Sie, sich nicht verletzt zu fühlen, wenn Ihr Kind sich nicht sofort öffnen kann – dies kann ein langer Prozess sein.

  • Teilen Sie Ihrem Kind mit, wenn Sie sich Unterstützung holen, z.B. bei einer Beratungsstelle oder einer Ärzt*in. Das schafft zum einen Transparenz, zum anderen können Sie so zeigen, dass es eine Stärke ist, sich Hilfe zu holen. Viele Betroffene schämen sich und haben das Gefühl, sie müssten oder könnten es allein schaffen.


Essenstipps

Mahlzeiten können besonders schwierige Situationen für die ganze Familie sein. Einige Tipps, welche Sie vielleicht unterstützen können:

  • Wenn Ihr Kind in einer Behandlung ist, fragen Sie unbedingt das Behandlungsteam, wie Sie mit den Mahlzeiten umgehen können.

  • Planen Sie Mahlzeiten weiterhin so, dass es für die ganze Familie passt. Das ist sinnvoller, als für alle separat zu kochen.

  • Portionsgrössen und Kalorien sollten kein Thema sein.

  • Vermeiden Sie selbst Light-Produkte zu essen oder sie zu kaufen.

  • Versuchen Sie, die Dinge während des Essens unbeschwert und positiv zu halten, auch wenn Sie sich vielleicht nicht so fühlen.

  • Wenn Ihr Kind übermässig versucht, bei der Essenszubereitung dabei zu sein - um das Essen zu kontrollieren - bitten Sie es, stattdessen den Tisch zu decken oder sonst irgendwie zu helfen.

  • Versuchen Sie, sich während den Mahlzeiten nicht zu sehr auf Ihr Kind zu konzentrieren – geniessen Sie Ihr eigenes Essen und unterhalten Sie sich.

  • Eine gemeinsame Familienaktivität nach dem Essen, wie z. Bsp. ein Spiel oder Fernsehen, kann dazu beitragen, dass sich Ihr Kind nicht so sehr mit dem aufgenommenen Essen und allfälligen Schuldgefühlen beschäftigt.

  • Machen Sie sich keine Sorgen, wenn es bei einer Mahlzeit mal schiefläuft. Bleiben Sie dran.

Regeln aufstellen, Grenzen setzen

Es kann wichtig oder notwendig sein, Regeln aufzustellen und umsetzen. Nehmen Sie nicht nur Rücksicht auf Ihr Kind. Sagen Sie, was Sie selbst möchten und nicht mehr möchten. Ziehen Sie Konsequenzen. Wenn Sie Ihre Grenzen aufzeigen, kann das für Ihr Kind der Punkt sein, an dem es merkt, dass es etwas ändern muss. Versuchen sie die Regeln mit dem Kind, wenn möglich zusammen auszuarbeiten. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es sich darauf einlässt und sich daranhält.

Beispiele für Regeln könnten sein: Magersüchtige können gerne und viel für andere kochen, essen jedoch selbst nicht mit. Es könnte daher sinnvoll sein, der/dem Magersüchtigen den Aufenthalt in der Küche bzw. das Kochen für andere zu verbieten. Solche Massnahmen sollten nach Möglichkeit mit einer Fachperson abgesprochen werden.

Motivieren

Sie können die Betroffene* nicht zu einer Beratung zwingen. Drohungen sind fehl am Platz – auch „Überredungsversuche“ scheitern oft. Zeigen Sie die Möglichkeiten auf, vielleicht ist eine anonyme Beratung momentan leichter. Rechnen Sie damit, dass es vielleicht viel Zeit braucht, bis Ihr Kind zu einer Beratung bzw. Behandlung kommt, oder bis die passende Fachperson oder Therapie gefunden wird.

Jedoch haben sie als Elternteil – je nach Alter des Kindes - die Verantwortung für Ihr Kind und dessen Gesundheit. Essstörungen können schwere Folgen nach sich ziehen. Sollte ihr Kind nicht bereit sein, sich professionell helfen zu lassen, dann holen sie sich als Eltern unbedingt Unterstützung von Fachpersonen. Ist Ihr Kind zur Therapie bereit, sollten Sie dies unterstützen, auch wenn Sie vielleicht mit der Therapiewahl Ihres Kindes nicht zufrieden sind: Respektieren Sie seine Entscheidungen. Versuchen Sie nicht, Ihrem Kind Informationen über die Therapie zu entlocken und die «Fortschritte» zu überwachen. Versuchen Sie, es zu motivieren, seinen Weg zu gehen. 

Geben Sie die Verantwortung für die Essstörung an Ihr Kind zurück. Erst, wenn es die Verantwortung für seine Erkrankung übernimmt, ist die Entscheidung möglich, die Essstörung hinter sich zu lassen. Der erste Schritt ist, Hilfe zuzulassen, die betroffene Person muss dazu aber Hilfe wollen. Bieten Sie immer wieder offizielle Hilfsangebote an, machen Sie davon aber nichts abhängig.

Vergessen Sie nicht ‘normale’ Aktivitäten gemeinsam zu machen – Dinge die Spass machen, Freunde treffen etc.

Was tun bei Suizidgedanken

Bei Menschen, die von einer Essstörung betroffen sind, können Suizidgedanken auftreten. Diese werden oft indirekt geäussert, z.B. „Es ist alles sinnlos – ich will nicht mehr.“

Sehen Sie nicht weg! Holen Sie sich umgehend Hilfe – bei einer* Ärztin* oder einer Beratungsstelle (Link). Zum Beispiel: Suizidprävention Kanton Zürich: https://www.suizidpraevention-zh.ch/



Das können Sie für sich selbst tun

Sich selbst Hilfe holen, sich mit anderen austauschen

Lassen sie sich von Freunden, Vertrauenspersonen, Beratungsstellen oder dem Hausarzt unterstützen . Allerdings kann dies auch verunsichern. Bei Unsicherheiten wenden Sie sich unbedingt an eine spezialisierte Fachperson oder Fachstelle.

Machen Sie sich keine Vorwürfe. Sie haben Ihr Bestes gegeben. Es gibt nicht die eine Ursache, den einen ‘Fehler’, der zur Entstehung einer Essstörung geführt hat.

Es ist wichtig, dass die ganze Familie die Situation versteht und die eventuell notwendige Unterstützung bekommt – Geschwister dürfen auf keinen Fall vergessen gehen.

Nicht vergessen zu leben

Eine Essstörung kann die gesamte Familie belasten und dominieren. Oft hilft es offen darüber zu reden. Es ist in Ordnung, wenn Gefühle und Bedürfnisse von allen geäussert und auch Grenzen gesetzt werden, z.B. indem man wütend, verärgert oder hilflos ist. Es ist wichtig, dass das Essen oder Nicht-Essen der Betroffenen* nicht immer im Mittelpunkt steht. Versuchen Sie nicht, die Krankheit des Kindes kontrollieren zu wollen oder mit speziellen Essensangeboten Einfluss zu nehmen. Beides hilft nicht. Das Leben ihres betroffenen Kindes dreht sich schon zum Grossteil um Essen – sorgen Sie dafür, dass die Essstörung nicht zusätzlich noch zu Ihrem Lebensmittelpunkt wird. Achten Sie darauf, dass die Essstörung keinen "Krankheitsgewinn" bekommt, das Kind also keinen Nutzen aus seiner Erkrankung und Ihrer Sorge ziehen kann, z. B. in Form einer Sonderbehandlung (Bsp. spezielle Essenszubereitungen).

Es muss Raum für alle da sein, Spass zu haben und das eigene Leben zu leben.

 

Literatur

Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Essstörungen
Leitfaden für Eltern, Geschwister, Partner und Fachpersonal
Janet Treasure, Gráinne Smith, Anna Crane
EAN:9783708917603 ISBN:978-3-7089-1760-3, 2020

Iß doch endlich mal normal!
Hilfen für Angehörige von essgestörten Mädchen und Frauen
Bärbel Wardetski
eBook epub (epub), ISBN: 978-3-641-16751-6, 2015


Durchblick - Depression, ADHS, Essstörungen: Was tun, wenn Kinder psychisch krank werden?

StarkeKids.com
Essstörungen bei Kindern: Wie du erkennst, vorbeugst und hilfst

Hier noch ein Link zu einer guten Website mit weiteren Informationen zu Essstörungen bei Kindern, aber auch viele anderen Themen rund um die wichtigen Themen Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit für dein Kind.

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