“Es hat mich viel Mut gekostet mich hier bei der AES zu melden, aber jetzt ist es leichter Hilfe anzunehmen, Danke für das gute Gespräch.”
Frauen über 40 –
Wenn Essstörungen (wieder) zum Thema werden
Essstörungen betreffen nicht nur junge Menschen. Auch Frauen über 40 können erneut oder erstmals mit problematischem Essverhalten kämpfen. Körperliche Veränderungen, der Druck, jung zu bleiben, und Umbrüche im Leben stellen besondere Herausforderungen dar. Oft sind es alte Muster, die sich leise zurückmelden – manchmal zum ersten Mal richtig spürbar.
Die unterschätzte Realität
Eine Essstörung tritt nach dem 40. Lebensjahr nur selten erstmals auf. Wenn sie es tut, geschieht das meist nicht „aus heiterem Himmel“. Viele Frauen (und auch Männer), die in diesem Alter damit kämpfen, haben bereits früher problematisches Essverhalten erlebt – vielleicht über viele Jahre hinweg, mit Phasen der Besserung, aber nie ganz frei davon.
Frauen im mittleren Alter erleben viele der gleichen inneren Konflikte wie jüngere Betroffene: Körperunzufriedenheit, Scham, Angst, depressive Verstimmungen, Überforderung und Perfektionismus. Auch sie spüren den Druck durch Medien und soziale Vergleiche. Hinzu kommen jedoch zusätzliche Belastungen wie altersbedingte körperliche Veränderungen, die Wechseljahre oder das Verlassen der Mutterrolle, die das Selbstbild tiefgreifend beeinflussen können.
Frauen im mittleren Alter unterscheiden sich nicht grundsätzlich von jüngeren Frauen.
Körperbild, Menopause und Selbstwert
Der hormonelle Wandel in der Menopause, Gewichtszunahme oder sichtbare Zeichen des Älterwerdens können das Gefühl verstärken, nicht mehr den gängigen Idealbildern zu entsprechen. Manche Frauen reagieren darauf mit einer erneuten Fixierung auf Kontrolle – über das Essen, das Gewicht oder die Körperform. Problematisches Essverhalten wird dann zum Versuch, das eigene Erscheinungsbild zu „konservieren“ oder Kontrolle über den veränderten Körper zurückzugewinnen.
Eine neue Definition von Weiblichkeit
Im mittleren Alter verändert sich oft auch das Selbstverständnis als Frau. Das jugendhafte Aussehen tritt in den Hintergrund – innere Werte, Ausstrahlung, Selbstliebe und Lebensgenuss rücken stärker ins Zentrum. Auch die Mutterrolle verliert durch das selbstständige Werden der Kinder an Gewicht. Wer sich bislang stark über äußere Anerkennung oder das Gefallen definiert hat, erlebt diese Veränderungen als besonders herausfordernd.
Wenn die eigene Weiblichkeit auf wackeligen Füßen steht, kann diese Phase zur echten Zerreißprobe werden – emotional wie körperlich. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass alte Essstörungen in dieser Zeit wieder aufflammen oder bislang unauffällige, aber ungesunde Essmuster sich zu einer manifesten Störung entwickeln.
Was helfen kann
Psychotherapeutische Unterstützung ist in solchen Lebensphasen besonders sinnvoll. Sie kann dabei helfen, alte, automatisierte Muster zu erkennen und neue Wege der Selbstwahrnehmung, Selbsteinschätzung und Selbstfürsorge zu entwickeln. Es geht um Ermutigung, Stärkung und das Finden neuer Formen weiblicher Identität – jenseits von Idealen, Zahlen und Erwartungen.
Quellen
Gagne D.A. et al. (2012). Eating disorder symptoms and weight and shape concerns in a large web-based convenience sample of women ages 50 and above: results of the Gender and Body Image (GABI) study. Int J Eat Disord. 45(7), 832–44. 2 Slevec J.H. & Tiggemann M. (2011).
Predictors of body dissatisfaction and disordered eating in middle-aged women. Clinical Psychology Review 31(4), 515–524.
AES-Bulletin: 1/14 ‘Essstörungen bei Frauen über 40’
Zeitungsartikel (unsere Fachberaterin S. Stidwill war Interviewpartnerin): Magersucht kennt kein Alter
Zeitungsartikel: The menopause is triggering eating disorders – we need to talk about it